Im November 2000 wurde das Kindersprecherensemble nahörmal gegründet. Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 5 und 19 Jahren treffen sich regelmäßig zur gemeinsamen Probe unter der künstlerischen Leitung der Schauspielerin und Sprecherin Conny Wolter und erlernen spielend ihr Handwerk. Neben Artikulations-, Sprach- und Rhythmusübungen entdecken die Kinder auf Grundlage der Improvisation (also dem spontanen Erspielen frei erfundener Szenen, welches große Freiräume für die Dialog- und Textarbeit schafft) ihre individuellen Fähigkeiten, entwickeln Selbstbewusstsein und Persönlichkeit. Jährlich entsteht eine gemeinsame Jahresarbeit, um den jungen Sprechern kontinuierlich den Lern- und Erfahrungsraum einer Hörspielproduktion zu bieten.

Mit Unterstützung zahlreicher ehrenamtlicher Helfer wurden ab dem zweiten Jahr des Bestehens umfangreiche und aufwändigere Eigenproduktionen des Ensembles in Angriff genommen und erste Hörspiele entstanden: 2002 „Die zertanzten Schuhe“ nach den Gebrüdern Grimm und 2004 „Nussknacker und Mausekönig“ nach E.T.A. Hoffmann. Dabei ist es Conny Wolter ein Anliegen, zwischen dem heutigen Sprachgebrauch der Kinder einerseits und literarischer Sprache andererseits, Brücken zu errichten. Sämtliche Rollen der jeweiligen Produktionen werden ausschließlich von Kindern gespielt und gesprochen – eine für alle Beteiligten bereichernde und spannende Herausforderung. Die Leidenschaft, mit welcher die Kinder sich den Proben und Aufnahmen widmen, die Lust an der Arbeit, die Ernsthaftigkeit der Auseinandersetzung mit Literatur und gleichzeitig die Leichtigkeit, die Neugier, mit welcher die Kinder an alles herangehen, beeindruckt zutiefst.

Der Hörbuchpreis des Seminars für Allgemeine Rhetorik der Eberhard-Karls-Universität Tübingen, welcher im Mai 2005 die Produktion „Nussknacker und Mausekönig“ zum Hörbuch des Monats ernannte, sowie der internationale Erfolg des Bühnenstücks „Die zertanzten Schuhe“, galten dem jungen Ensemble als Bestätigung und Ansporn für zukünftige Projekte.

Seit 2007 gibt es den Kinder-Hörbuch-Verlag nahörmal. Hier erschienen 2007 „Das goldene Schlüsselchen oder Die Abenteuer des Burattino“ nach Alexej Tolstoj und 2011 „Das Leben der Hochgräfin Gritta von Rattenzuhausbeiuns“ nach der gleichnamigen Erzählung von Gisela und Bettina von Arnim. Für März/April 2020 ist die Herausgabe des Hörspiels „Frühlings Erwachen“ nach der gleichnamigen Kindertragödie von Frank Wedekind geplant.

Ein Großteil der Mitglieder gehört dem im April 2000 ebenfalls von Conny Wolter gegründeten Kindersprecherensemble des MDR an. In Hörspielproduktionen des Senders bekommen die jungen Darsteller Gelegenheit, mit unterschiedlichen Regisseuren zu arbeiten und gleichberechtigt neben und mit den „Profis“ große und kleine Rollen zu spielen.

Und hier könnt ihr uns für einen Moment bei unserer Arbeit über die Schulter hören:



Die Hörbuchauszeichnung des Seminars für Allgemeine Rhetorik der EBERHARD - KARLS - UNIVERSITÄT TÜBINGEN
Hörbuch des Monats Mai 2005 

E. T. A. Hoffmann: Nussknacker und Mausekönig

Wer sprechen lernen will, muss früh damit anfangen. In der antiken Bildungswelt war das selbstverständlich. Die Mutter eines kleinen Römerjungen achtete bei der Auswahl der Amme darauf, dass sie ein gutes Latein sprach, später wurde der Sprössling in die Schule eines Schauspielers geschickt, um das wirkungsvolle Reden zu lernen. In unseren Erziehungsinstitutionen gibt es nichts Vergleichbares, unsere Kinder verlassen die Schule als Sprech- (und übrigens auch Hör-) Krüppel – die Folgen sind für jeden überall vernehmbar, sofern er Ohren hat zum Hören und sie nicht in der Nachttischschublade verschlossen hat.

In diesem Kontext ist es ein beispielloses, hoffentlich beispielgebendes Projekt, das Conny Wolter mit ihrem Kindersprecherensemble in Halle vor fünf Jahren begründet hat. Bis zu 30 Kindern im Alter zwischen 6 und 17 Jahren umfasst die Gruppe; sie hat Ende des vergangenen Jahres E. T. A. Hoffmanns Märchen vom „Nussknacker und Mausekönig“ als Hörspiel verwirklicht. Die Hörspielfassung stammt von Conny Wolter, die als Schauspielerin, Sprecherin und Regisseurin eine große Erfahrung mitbringt.

Das Ergebnis kann sich in mehrfacher Hinsicht hören lassen. Die komplexe Handlung ist so gestrafft, dass sie auch kindliche Hörer mühelos verfolgen können, doch geht auch nichts Wesentliches verloren. Das für E. T. A. Hoffmann typische Changieren der Handlung zwischen Märchenton und nächtlichem Schrecken, zwischen Heimlichem und Unheimlichem, der plötzliche Umschlag ins Grauenvolle, wenn die lebendig gewordenen Spielzeugfiguren (im Film ein Horror-Stoff bis heute) von dem unübersehbaren Heer des siebenköpfigen Mäusekönigs angegriffen werden – dieses Wechselbad der Gefühle, für jeden Sprecher eine große Herausforderung, wird von den kindlichen Stimmen virtuos, emotional immer glaubwürdig und durchaus schon erfahrungskundig in Szene gesetzt – schließlich sind es ja kindliche Sensationen, die Hoffmann in seinem Märchen verarbeitet hat. Auch die erwachsenen Figuren wie der Pate Drosselmeier, der die ganze Maschinerie in Bewegung setzt, agiert souverän und der Rolle angemessen.

Einzelne von den 25 beteiligten Mitgliedern des Ensembles hervorzuheben würde der beeindruckenden Gesamtleistung nicht gerecht, doch mag eine Ausnahme gestattet sein: Lucie Telemann gibt der Hauptfigur Marie die stimmlichen Konturen einer frühen Alice im Wunderland, und das Wunderbare wie das Spukhafte, das Mitziehende wie das Erschreckende spiegeln sich in ihrer Rede auf mal anrührende, mal aufregende Weise.

E. T. A. Hoffmann: „Nussknacker und Mausekönig“. Hörspielfassung: Conny Wolter. Gelesen vom Kindersprecherensemble nahörmal. 2 CDs. 2004

Jurymitglieder: Prof. Dr. Gert Ueding, Prof. Dr. Joachim Knape, Peter Weit, Boris Kositzke, Olaf Kramer